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OX MAGAZINE: Joachim Hiller with Will Kinser (2011)

Ich bin ein Hamburger

Mit „Fake Meets Failure“ erschien kürzlich auf Deranged (CD) bzw. Taken By Surprise (LP) das zweite Album der RED DONS aus Portland, Oregon, jener Band, die Sänger und Gitarrist Doug Burns nach dem Ende der OBSERVERS gegründet hatte. Auf Deranged erschien 2008 auch das Debüt „Death To Idealism“ und machte schnell klar, dass der Name zwar ein anderer, aber die musikalische Ausrichtung gleich geblieben war, und der großartigsten Band, die Portland je hervorgebracht hat, auch in neuer Verpackung ausgiebig gehuldigt wird – die Rede ist natürlich von den WIPERS. Positiv zu erwähnen sind auch die engagierten Texte der RED DONS, die sich nach dem pro-sowjetischen Spionagering benannten, der in den Fünfzigern in England aktiv war, besser bekannt als „Cambridge Five“. Meine Fragen beantwortete Will, neu in der Band, aber schon lange musikalisch aktiv.

Will, du bist noch relativ neu in der Band und, soweit ich weiß, gerade erst nach Hamburg gezogen, nachdem du lange in der Bay Area gewohnt hast.

Ich bin erst in die Band gekommen, nachdem ich letztes Jahr im Februar nach Hamburg gezogen bin. Es ist wohl ganz passend, dass zwei Bandmitglieder momentan in Europa wohnen, denn wenn wir durch Europa touren oder in den Staaten, müssen wir immer nur für zwei Flugtickets gleichzeitig zahlen, haha. Mir war langweilig nach über zehn Jahren in der Bay Area. Ich glaube, San Francisco und Oakland sind einige der besten Städte in Amerika, aber es wird trotzdem nach einer Weile irgendwann langweilig. Ich hatte das Gefühl, es wäre der perfekte Zeitpunkt, um eine neue Kultur und einen anderen Lebensstil auszuprobieren. Deutschland hat einiges zu bieten, was man in Amerika nicht hat, zum Beispiel günstige Wohnungen und ein gutes Gesundheitssystem. Und hier ist es einfach, nur zwei oder drei Tage in der Woche zu arbeiten und trotzdem über die Runden zu kommen. In den Staaten habe ich 40 Stunden die Woche gearbeitet und fühlte mich, als würde ich einen großen Teil meines Lebens verschwenden. Ich wollte mich mehr der Musik, Kunst und meiner Freizeit widmen.

Was ist drüben besser, was hier, was ist generell und betreffend Musik oder Szene anders?

Die Unterschiede hier in der Szene sind riesig, hier gibt es viele Locations für Shows, Treffpunkte, so wie die VoKü, Workshops und andere Orte, an denen man sich treffen kann. In den Staaten ist das fast nicht vorhanden. Der einzige Nachteil davon ist, dass ich das Gefühl habe, dass die Leute hier weniger motiviert sind, weil alles einfacher zu erreichen ist und das hier definitiv eine Kultur ist, in der die Leute mehr Zeit damit verbringen, nur rumzuhängen, Kaffee zu trinken und zu quatschen. Nein, um ehrlich zu sein: Ich denke, weil jeder immer 100% gibt, hat in den Staaten Punk eine größere Bedeutung, insofern, dass man seine ganze Aufmerksamkeit der Musik schenkt, ohne über die Kosten nachzudenken. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig sein würde, Leute zu finden, mit denen ich hier Musik machen könnte, und ich hasse es, einfach nur im Coffee-Shop rumzusitzen. Aber ich habe das Gefühl, dass ich es endlich in den Griff bekomme. Ich habe eine neue Band, die RAZED heißt, und ab nächsten Monat hoffentlich noch eine andere. Ich freue mich schon darauf, hier ein bisschen mehr kulturell mit einbezogen zu werden. Es braucht halt ein bisschen, bis sich der Kulturschock wieder legt.

Interessanterweise wird deine alte Band BORN/DEAD unter anderem mit POISON IDEA verglichen, einer Band aus Portland. Und die RED DONS sind aus Portland und erinnern mich irgendwie an die WIPERS. Also viele Portland-Bezüge. Was ist so besonders an Portland, vor allem was die Musikszene heute wie früher und natürlich die erwähnten Bands betrifft?

Ich habe nie in Portland gelebt, also bin ich wahrscheinlich das Mitglied der RED DONS, das dir auf diese Frage, warum Portland so speziell ist, keine gute Antwort geben kann. Portland hatte immer allgemein eine gute Szene, aber in den letzten zehn Jahren wurde es der ultimative Treffpunkt für Punk. Es sind Hunderte von Punks aus dem ganzen Land und dem Rest der Welt dahin gezogen. Mit so vielen Beteiligten, billigen Mieten und hoher Arbeitslosigkeit mussten einfach einige gute Bands entstehen. Ich mag diesen Teil des Landes wirklich. Wenn ich jemals zurückgehe, würde ich es mir wohl als Wohnort aussuchen.

„Fake meets failure“, „A forced turning point“, „Death to idealism“ – das sind alles Titel, die einiges aussagen. Wie viel Arbeit investiert ihr, um sie euch auszudenken, und steckt da mehr hinter als nur ein Titel?

Viele Gedanken fließen mit in die Texte und die Songtitel dieser Band ein. Jeder von uns weiß, dass viele Bands heutzutage gar nicht erst versuchen, ihre Musik persönlich genug zu machen. Wir versuchen das aber durch unsere Texte, die realistisch sind und das widerspiegeln, was in unseren Leben passiert. Eindrücke, die unsere Gedanken beeinflusst haben. Die Titel sind aber nur eine Erweiterung der Inhalte, die von dem Verlust von Idealismus und der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation handeln.

Die „Red Dons“ oder „Cambridge Five“ waren in den Fünfzigern aktive britische Spione für die Sowjetunion. Was von dem, was sie getan haben, inspiriert euch? Und wofür wäret ihr bereit, Hochverrat zu begehen? Denn das ist es, was die fünf der Meinung der Öffentlichkeit nach getan haben.

Verrat ist ein sehr zweideutiges Wort. Es wäre einleuchtend, dass jemand, der einen Akt des Verrats begeht, zuerst mit der Regierung übereinstimmen müsste, die er dann stürzt. Ich sehe es nicht als Verrat an, einen Herrscher zu stürzen, unter dessen Herrschaft ich unglücklicherweise geboren wurde, dessen Politik und anderen Aktivitäten ich aber niemals zugestimmt habe. Es ist wichtiger, die Motivation der Seite zu verstehen, der du am Ende hilfst. So sehen wir es bei den „Cambridge Five“. Ich selbst, und da spreche ich nur für mich, würde niemals irgendeiner Regierung helfen. Die sind alle scheiße.

Ihr geht im April 2011 in Deutschland auf Tour. Was ist so super daran, mit einer Band in andere Länder zu reisen, in einer Zeit, wo die meisten kleineren Bands nur Geld verlieren, wenn sie das tun?

Wir touren tatsächlich vom 4. April bis zum 15. Mai durch Europa. Ich glaube, die Motivation zu touren ist, so vielen Menschen wie möglich deine Musik nahe zu bringen. Ich hasse Bands, die nur touren, um Party zu machen, und sich nicht genug darum kümmern, ihre Musik jeden Abend gut zu spielen. Natürlich passiert das manchmal, aber wir versuchen jede Nacht, unser Bestes zu geben. Das Tolle am Touren ist, dass man gleichgesinnte Leute trifft, Ideen austauscht und zusammen spielt. Ich liebe es, live zu spielen, das ist meine größte Motivation. Bis jetzt hatten wir noch nicht das Pech, Geld zu verlieren, weil wir immer alles sehr gut planen und sichergehen, dass die Leute uns überhaupt sehen wollen, bevor wir anfangen, eine Tour zu buchen.

Übersetzung: Ines Sagurski
Joachim Hiller

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